Digitalisierung und die Bilder von Kirche: 3. Digitale Kirche, Kirche digital, digitalisierte Kirche

 

1.   Für einen Veränderungs- und Reformprozess braucht es so etwas wie eine Vision, eine Imagination, ein „Zielfoto“ von dem, was sein soll, und das wird notwendigerweise eine Metapher, ein Bild sein, selbst dann, wenn es sein scheinbar „objektives“ Organigramm ist: auch die sind „Bilder“, z.B. von einem Baum oder einer „Matrix“. Es wird vielmehr eine Erzählung gebraucht, von dem, was ein soll, dafür braucht es aber eine Erzählung von dem, was der Fall ist. Und dafür braucht es kraftvolle Bilder, die Prozesse abbilden. Und Prozesse können nur in Erzählungen abgebildet werden. Organigramme sind nur Momentaufnahmen, die wie Begriffe schon verfallen sind, wenn sie erscheinen. Sie beschreiben in der Regel einen Soll-Zustand, der vom Ist-Zustand schon überholt ist. 

Aber auch hier öffnet sich eine Falle, weil zum einen der Begriff der „Vision“ theologisch sehr besetzt ist und zum anderen die traditionellen Bilder von Kirche einer Ontologie, einer Metaphysik des Statischen und Substanziellen verhaftet sind, die unter Umständen eher verdecken, was geschieht und daher einen konservativen, wenn nicht gar reaktionären Subtext haben.

Denn die digitale Transformation ist ein unabschließbarer und zum Teil auch autopoietischer Prozess, so dass statische Bilder ihre Sache schon verfehlen, wenn sie auch nur formuliert werden und im Effekt wieder der Leistungs- und Frustrationsdruck der Differenz von „eigentlich“ und „uneigentlich“ einziehen kann. Ganz banal, aber nicht trivial gesagt, kommt hier die Rede von der „ecclesia semper reformanda“ erst wirklich zum Tragen, und zwar keineswegs als „bloß organisationale“ Kategorie. Möglicherweise liegt hier auch eine der Quellen von Nervosität in der Kirche. Alles gerät in Fluß, und, paradox formuliert, ist dieser Fluß das Eigentliche (man bemerke: die traditionellen Begriffe sind sperrig. Sie sind umumgehbar, weil sie unser Denken spiegeln, dass immer eine Tendens hat, statisches wahrnehmen zu wollen, Gestalten zu erkennen und Wesentliches herauszudestilieren. Wir sind geborene Platoniker). 

Und zwar aus einem einfachen Grund: Mit der „Digitalisierung“ (ich verwende den Begriff jetzt bewusst wenig geschärft) kommt etwas in den Blick, für das die klassische Ekklesiologie so recht keine Kategorie hat: Die „digitale Kirche“, oder die „Kirche digital“ oder die „digitalisierte Kirche“ oder die „sich digitalisierende Kirche“. Schon diese unterschiedlichen Begriffe, hinter denen sich z.T. sehr divergierende Vorstellungen verbergen, zeigen, dass hier Klärungsbedarf herrscht. Um es gleich auf eine möglichst abstrakte Ebene zu heben: Das ist mit dem „Hybrid“-Begriff nicht hinreichend zu erfassen, er scheint mir gerade hier mehr zu verschleiern, als wirklich zu erklären, er ist auch hier für mich eher eine Problemanzeige.

Denn dahinter verbirgt sich eine tiefgreifende Erfahrung, die durch die Corona-Krise geradezu physisch erfahrbar wurde: Das Problem der „Präsenz“ und der „Sichtbarkeit“ (das sich auch hinter dem Begriff der Relevanz verbirgt).

Für mich stellt sich hier die eigentliche Denkaufgabe für die Theologie, die bisher sehr stark von diesem Begriff geleitet war – das zeigt sich exemplarisch und nicht zufällig in der Frage nach den Sakramenten, in dem ja die gesamte Ekklesiologie, die Lehre von der Kirche, letztlich verankert ist und natürlich, geradezu expressis verbis erkennbar wird in der Rede von der „sichtbaren“ und „unsichtbaren“, der „eigentlichen“ und der „wirklichen“ Kirche, der Kirche des Glaubensbekenntnisses und der Grundordnung, der himmlischen und der irdischen Kirche und was dergleichen mehr ist. Wer im Hinterkopf eine irgendwie geartete Möglichkeit der Vollendung bewegt, wird an dem, was der Fall ist, immer leiden. Und gegebenenfalls die Organisation verlassen, tatsächlich oder mental oder durch einen Burnout, der Berufskrankheit Nummer eins in den Kirchen.

Die Verabschiedung dieser Duale (und vom Denken in „aufhebbaren“ Differenzen überhaupt) und das Ernstnehmen des Sachverhaltes, dass es keine andere Kirche gibt, als die, die der jeweils Fall ist, und wenn ich sie erkannt und benannt habe, schon wieder weitergeglitten ist,  setzt eine spezifische Trauerarbeit frei, die man geradezu als „Abschied von einer Illusion“ beschreiben kann, die aber mit der Wahrnehmung der Effekte der digitalen Transformation unaufgebbar verbunden ist. Allerdings kann diese Trauer eben auch verstellen, welche Möglichkeiten sich hier eröffnen – zumal wir keine Wahl haben.

Auch der einfache Dual von „Theorie“ und „Praxis“ erscheint unter dieser Perspektive als hemdsärmelig und wenig hilfreich. Auch die „Theorie“ ist eine Praxis, und wenigstens hier war auch die traditionelle Theologie schon einigermaßen wachsam, wenn sie die Theologie als eine „scientia eminens practica“, als eine praktische Wissenschaft beschrieb – „praktisch“ in dem Sinne, dass es nicht eine auf eine Praxis zielende Theorie ist (was auch schon eine völlige Fehleinschätzung des Zusammenhanges von Theorie und Praxis ist), sondern Theologie als ein praxisveränderndes Erzählen (!) verstand, das in seinem Vollzug schon Einstellungen verändert, also selbst „praktisch“ ist (womit der Dual faktisch aufgelöst ist und in ein Spannungsfeld verwandelt wird, was keine statische, sondern eine energetische Metapher ist – und eine technische! Auf das Problem der technischen Metaphern komme ich noch zu sprechen. Sie haben ihre eigenen Fallen).