Digitalisierung und Bilder von Kirche: 7. Der Begriff der Kultur, Felix Stalder

 Felix Stalder: Kultur der Digitalität

Felix Stalder macht mit seinem Buch Ernst damit, dass Digitalisierung einen kulturellen Wandel bedeutet, und so spricht er von der „Kultur der Digitalität“- und nicht etwa von einer Digitalisierung der Kultur, als wäre Digitalisierung etwas, das zu einer bestehenden Kultur hinzukommt. Um es in Schlagworten zu sagen: Die Gutenberg-Galaxis, also die Transformation durch die Erfindung des Buchdruckes mit allen seinen Folgen wie z.B. die Alphabetisierung wird abgelöst oder verändert in die Kultur der Digitalisierung. Dick Baecker hat diesen Prozess in seinem Buch „4.0 oder die Lücke, die der Rechner lässt“ (Leipzig, 2018) sehr feinteilig herausgearbeitet, er spricht allerdings nicht von „Digitaler Kultur“, sondern von der „Nächsten Gesellschaft“ als der „Netzwerkgesellschaft“, die die vier vorherigen Stufen „Tribale Gesellschaft“, „Antike Gesellschaft“, „Moderne Gesellschaft“ ablösen wird oder soll (eine tabellarische Übersicht findet sich auf Baecker, 270 ff).

Stalder nimmt den Kulturbegriff auf, weil er geeignet ist, die Durchdringungskraft der Prozesshaftigkeit von Digitalisierungsprozessen auch in ihrer politischen Dimension zu erfassen, damit geht er über eine rein soziologische Perspektive hinaus und nimmt stärker auch philosophische Impulse auf, er selbst verortet sich im „poststrukturalistischen“ Diskurs, wenn es denn solcher Label bedarf ( Stalder, 17).

Als Kultur werden von ihm „all jene Prozesse bezeichnet, in denen soziale Bedeutung, also die normative Dimension der Existenz, durch singuläre und kollektive Handlungen explizit und implizit verhandelt und realisiert wird…Kultur ist nicht symbolisches Beiwerk, kein einfacher Überbau, sondern sie ist handlungsleitend und gesellschaftsformend“ (Stalder, 16). Für meine Überlegungen leitend ist dabei, dass er Kultur nicht als etwas Statisches versteht, sondern als ein in rückgekoppelten Schlaufen ablaufender Prozess, und nicht als „etwas, das eine Person oder eine Gruppe besitzt, sondern ein Feld der Auseinandersetzungen, umstritten und durch die Handlungen vieler dauernd Veränderungen unterworfen, hier mal schneller, dort mal langsamer. Sie ist gekennzeichnet durch ein Neben-, Mit- und Gegeneinander von Prozessen der Auflösung und der Konstitution.“ (Stalder, 16). Es ist also ein dynamischer, ein gleitender Kulturbegriff, hier wird am deutlichsten, was er mit „poststrukturalistisch“ meint: „Das Feld der Kultur ist von konkurrierenden Machtansprüchen und Machtdispositiven durchzogen“ (Stalder, 17).

Wichtig ist dabei, dass er den Begriff des „Digitalen“ nicht auf digitale Medien begrenzt – Digitalität „taucht als relationales Muster überall auf und verändert den Raum der Möglichkeiten vieler Materialien und Akteure“ (18). Sie verändert auch die „analoge Welt“, vor allem dann, wenn die Technik eben nicht mehr im Vordergrund steht – in mancher Hinsicht gewinnt die „analoge Welt“ im Rahmen der Kultur der Digitalität sogar an Bedeutung. Was hier so theoretisch klingt, wird durch die alltagsverändernde Wucht des Smartphones jedem wohl gleich verständlich: Um das Smartphone herum gruppiert sich auch der „analoge“ Alltag, es ist inzwischen viel mehr als ein bloßer Zugang zum Digitalen, fast schon ein Körperteil. Es repräsentiert das Digitale und implantiert es in die alltäglichen Routinen und macht es damit bestimmend – viel mehr gilt das natürlich z.B. für die Digitalisierung von industrieller Produktion, der Unterhaltungsindustrie und der Arbeitswelt im Dienstleistungsbereich, um besonders einleuchtende Gebiete zu nennen. Es verschmilzt sozusagen mit dem vormals Analogen, und hier ist der Begriff des „Hybrids“ tatsächlich angezeigt: „Diese Hybridisierung und Verfestigung des Digitalen, die Präsenz der Digitalitität jenseits der digitalen Medien, verleiht der Kultur der Digitalität ihre Dominanz“ (Stalder, 20). Sie ist nicht Beiwerk. Sie ist die Welt, in der wir leben – und damit auch als Kirche, insofern sie auch ein kulturelles Artefakt, ein soziales und organisiertes Gefüge ist. Auch in der Kirche findet die Transition aus der Gutenberggalaxis (der sie wegen ihrer Buch-Bezogenheit natürlich in besondere Weise verpflichtet ist) in die digitale Kultur statt. Sie ist ihr nichts Äußerliches, nicht, was zu etwas Bestehendem "dazukommt", dem man sich anschließen kann oder nicht. Die Frage des "ob" stellt sich gar nicht, es geht um das "wie".