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Es werden Posts vom Juni, 2022 angezeigt.

Digitalisierung und Bilder von Kirche 9: Felix Stalder, Gemeinschaftlichkeit

Gemeinschaftlichkeit Diese Formationen entstehen durch die Prozesse der Auswahl, Interpretation und konstituierender Handlungsfähigkeit (die aus der Rekombination von Bekanntem neu freigesetzt wird). Denn: „Sich als einzelner in einer komplexen Umwelt zu bewegen ist unmöglich“ (Stalder, 129). In der Sprache der social media sind das die „Communities“, die um ein Thema, eine gemeinsame geteilte Haltung oder eine gemeinsame Praxis entstehen und Akteure zusammenführen, die im „real life“, in der „Kohlenstoffwelt“, im „analogen Raum“ möglicherweise nie aufeinandergetroffen wären. Dabei handelt jeder Akteur zwar als Individuum, ja sogar als „Singularität“, aber in einer Art und Weise vernetzt, dass eben doch überindividuelle Konstrukte entstehen, aus denen Individualität via Zugehörigkeit und Abgrenzungen (sozusagen als singulärer Rest) entstehen. Das ist, was ich weiter oben unter einer anderen Perspektive „Sympoiesis“ nannte, wenn man noch die nicht-menschlichen Akteure (z.B. Gebäude,

Digitalisierung und Bilder von Kirche 8: Referentialität nach Stalder

  Referentialität Felix Stalder identifiziert als drei Faktoren der Digitalisierung „Algorithmizität“, „Referentialität“ und „Gemeinschaft“. Mit „Referentialität“ meint Stalder das Herstellen von Bezügen als einer Grundfunktion von Kultur. Sie hat unter der Digitalisierung eine deutliche Beschleunigung und Ausdifferenzierung erfahren und ist geradezu zu einem Motor der Entwicklung geworden, die traditionelle Verständnisse von Gemeinschaft, vor allem solche, die auf Präsenz, auf unmittelbare Gegenwärtigkeit von Akteuren, beruhen, auflöst. Das ist nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick klingt. Denn entscheidend ist, dass diese Bezüge aus einer Rekombination von bestehendem Material entstehen und dass das, vereinfacht gesagt, „jedermann“ leisten kann. Es ist nicht mehr – oder weniger als je zuvor – an Institutionen und Organisationen gebunden. Das ist gewissermaßen der eigentlich digitale Anteil daran. Für die Wahrnehmung von „Kirche“ ist das von Gewicht: weil gerade diese Refe

Digitalisierung und Bilder von Kirche: 7. Der Begriff der Kultur, Felix Stalder

  Felix Stalder: Kultur der Digitalität Felix Stalder macht mit seinem Buch Ernst damit, dass Digitalisierung einen kulturellen Wandel bedeutet, und so spricht er von der „Kultur der Digitalität“- und nicht etwa von einer Digitalisierung der Kultur, als wäre Digitalisierung etwas, das zu einer bestehenden Kultur hinzukommt. Um es in Schlagworten zu sagen: Die Gutenberg-Galaxis, also die Transformation durch die Erfindung des Buchdruckes mit allen seinen Folgen wie z.B. die Alphabetisierung wird abgelöst oder verändert in die Kultur der Digitalisierung. Dick Baecker hat diesen Prozess in seinem Buch „4.0 oder die Lücke, die der Rechner lässt“ (Leipzig, 2018) sehr feinteilig herausgearbeitet, er spricht allerdings nicht von „Digitaler Kultur“, sondern von der „Nächsten Gesellschaft“ als der „Netzwerkgesellschaft“, die die vier vorherigen Stufen „Tribale Gesellschaft“, „Antike Gesellschaft“, „Moderne Gesellschaft“ ablösen wird oder soll (eine tabellarische Übersicht findet sich auf Baec

Digitalisierung und Bilder von Kirche: 6. Kultur der Digitalisierung, Stalder/Campbell

  Digitalisierung und Technisierung der Lebenswelt Die Digitalisierung ist ein kultureller Prozess, der, darauf weist Armin Nassehi (Muster) hin, zu kurz verstanden wäre, wenn man ihn nur auf die elektronische Digitalisierung beschränkt. Es ist eine Art kultureller Prozess der Informationsgestaltung, der schon mit der Entwicklung der Schrift einsetzte und jetzt, durch die elektronische Technik, nicht nur eine massive Beschleunigung erfährt, sondern auch in alle Lebensbereiche unumkehrbar eindringt. Dieser technische Aspekt ist es möglicherweise, der Digitalisierungsprozesse immer wieder auf typische Widerstände der Technikresistenz stoßen lässt, wie Kartin Passig (Standardsituationen der Technologiekritik) sie herausgearbeitet hat. Digitalisierung und die Technisierung der Lebenswelt sind jetzt untrennbar miteinander verbunden, und das löst einen kulturellen Wandel aus (oder beschleunigt ihn), der auch für das Verständnis von Kirche und Theologie, von Religion und Glauben von Bedeu

Digitalisierung und Bilder von Kirche: 5. Das Verschwinden der Präsenz

       Es war Dietrich Bonhoeffer, der hier mit seiner Redeweise von „Christus als Gemeinde existierend“ schon etwas erahnte: eine prekäre Präsenz. Was aber, wenn diese „Gemeinde“ nicht mehr im klassischen Sinne „präsent“ im Sinne physischer Anwesenheit, ist, sondern eben „virtuell“, was wenn sie gar kein wirkliches „physisches“, oder wie es in der Sprache der Digitalisierung heißt, „kohlenstoffliches“ Äquivalent mehr hat?   Es ist eine technische Entwicklung, die uns hier vor fundamentale Fragen stellt, wie eine „Kultur der Digitalität“ für Kirche aussehen kann und was das mit unserem Begriff von „Kirche“ macht. Das geht über den immer noch recht substanzhaft gedachten „Hybrid“ weit hinaus. Es waren vor allem die Philosophie, die Soziologie und die Wissenschaftstheorie, die im vergangenen Jahrhundert diesem Phänomen des Verschwindens der Präsenz auf der Spur waren. Weit davon entfernt, mich hier auch nur ansatzweise auszukennen, möchte ich im Folgenden einige Begriffe anbieten, di

Digitalisierung und Bilder von Kirche: 4. Theologie, Kirche und Technik

  Und tatsächlich geht es genau darum: Um Einstellungsveränderung. Jeder, der ein wenig mit Organisationstheorie, Erziehung oder überhaupt mit allgemeiner Lebenserfahrung vertraut ist, wird wissen, dass dies das Allerschwerste ist, das mit einer Flucht in die Praxis oder der Theorie, je nach Gestimmtheit, gerade nicht geleistet werden kann. Und das gilt allemal, wenn es um so einen fundamentalen Begriff wie den der Präsenz, der Gegenwärtigkeit, der erfahrbaren Existenz im Hier und Jetzt geht. An die Stelle von „Definitionen“ müssen unabschließbare Aushandlungsprozesse treten, die auf Geschichten basieren. Dafür hat sich seit Jahrzehnten der Begriff des „Diskurses“ etabliert, der aber für Kirche an einer Stelle zu kurz greift, wenn er als bloß definitorischer Vorgang verstanden wird, an dessen Ende ein Begriff steht: Erzählen ist eine fundamentale Praxis der Theologie (und, wie ich denke, jedes gesellschaftlichen Prozesses), denn nur Erzählungen können Duale (unter denen sich eine ve

Digitalisierung und die Bilder von Kirche: 3. Digitale Kirche, Kirche digital, digitalisierte Kirche

  1.     Für einen Veränderungs- und Reformprozess braucht es so etwas wie eine Vision, eine Imagination, ein „Zielfoto“ von dem, was sein soll, und das wird notwendigerweise eine Metapher, ein Bild sein, selbst dann, wenn es sein scheinbar „objektives“ Organigramm ist: auch die sind „Bilder“, z.B. von einem Baum oder einer „Matrix“. Es wird vielmehr eine Erzählung gebraucht, von dem, was ein soll, dafür braucht es aber eine Erzählung von dem, was der Fall ist. Und dafür braucht es kraftvolle Bilder, die Prozesse abbilden. Und Prozesse können nur in Erzählungen abgebildet werden. Organigramme sind nur Momentaufnahmen, die wie Begriffe schon verfallen sind, wenn sie erscheinen. Sie beschreiben in der Regel einen Soll-Zustand, der vom Ist-Zustand schon überholt ist.  Aber auch hier öffnet sich eine Falle, weil zum einen der Begriff der „Vision“ theologisch sehr besetzt ist und zum anderen die traditionellen Bilder von Kirche einer Ontologie, einer Metaphysik des Statischen und Substanz

Digitalisierung und die Bilder von Kirche: 2. Auflösung klassischer Duale

Die  „funktionale Ausdifferenzierung“ der Gesellschaft   , die das klassische Schichtenmodell ablöste und von der funktionalen Systemtheorie schon lange beobachtet und beschrieben wurde, hat gerade für die Kirche entscheidende Auswirkungen, und noch stärker wird das sichtbar, wenn man sich Perspektiven zuwendet, wie sie ihm Rahmen der Ökologie-Debatte entwickelt worden sind. Hier funktionieren nämlich auch die klassischen „Ursache-Wirkung“ und „Innen-Außen“ Duale nicht mehr wirklich. Selbst die daraus entwickelte „Milieutheorie“ hat sich als nicht wirklich tauglich erweisen, sie ist immer noch zu statisch und substanzhaft in ihrem Ansatz, weil sie letztlich von singulären Akteuren ausgeht und von so etwas wie stabilen Lebensweisen und Weltanschauungen. Das betrifft vor allem die Bilder von Kirche, an denen sich Prozesse der Veränderung und Träume von Bewahrung orientieren, je nachdem, ob man sich einem eher progressiven Lager oder einem eher konservativen Lager zuordnet. Doch es gehört

Digitalisierung und Bilder von Kirche: 1. Digitale Transformation

Wenn eine Institution verschwindet, sich auflöst und an Bedeutung verliert, wird sie als Organisation sichtbar. Denn mit einem Mal wird öffentlich und drängt sich in den Vordergrund, was bei einer Institution definitionsgemäß im Hintergrund, in einer gewissen Unsichtbarkeit und Verborgenheit geschieht.  Noch in meiner Anfangszeit, in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, war selbst engagierten Kirchenmitgliedern die Kirche als Organisation kaum sichtbar. Der Dekan trat auf, wenn es Konflikte gab oder eine Pfarrstelle besetzt wurde. Der Bischof war ein ferner Repräsentant, allenfalls die Synoden waren der Ort, wo „normale Kirchenmitglieder“, aber auch professionelles Personal, mit „solchen Fragen“ befasst war. Das hat sich sehr grundlegend geändert. Das Stöhnen über das „Überhandnehmen von Verwaltung“ ist in Wahrheit ein Sichtbarwerden von Organisation, die bis vor Kurzem (kirchenhistorisch gedacht) eher ein Hintergrundrauschen war. Jetzt ist es vorne und wird als Störgeräusch wahrg