Körper und Kirche. Eine Meditation.

Die Ausarbeitung der Gedanken über Rhizom und Gefüge erweisen sich als komplexer, als gedacht. Das wird noch dauern...darum wieder ein Zwischengedanke. 

Es wird ja gerne gestöhnt über die kirchliche Verwaltung und die Frage, wieviel davon nötig ist, vor allem im Pfarramt. 

Dazu möchte ich festhalten: Wer kirchliche Organisationsverwaltung für ein notwendiges Übel oder sogar für mehr oder weniger unnötig, auf jeden Fall aber für lästig hält, sollte möglicherweise noch einmal darüber nachdenken, was eine evangelische Kirche ist. 

Sie ist letztlich eine Organisation zur Organisation von Gottesdienst, Unterricht, Seelsorge und diakonischen Tätigkeiten. Als solche ist sie eine Organisation wie jede andere: Personalverwaltung, Finanzverwaltung, Bauverwaltung, Recht usw.  Das hat keinerlei "geistliche" Qualität. Sie muss, im Interesse aller Mitglieder (und eine Organisation definiert sich über Mitglieder) effizient, transparent und "smart" sein - denn es geht letztlich um die Verteilung von Ressourcen und damit um Recht (denn Ressourcenzuteilung wird über Recht geregelt, weil es um Gerechtigkeitsfragen geht). 

Darum bildet die eigentümlich deutsche Konstruktion der "Körperschaft öffentlichen Rechtes" diesen Organisationscharakter von Kirche ziemlich deutlich ab (es wäre aber auch nicht anders, wenn die Kirche als Verein oder als Genossenschaft organisiert wäre). 

Die Frage muss also sein: Was ist das "geistliche" Element darin? Wo kommt das zum Tragen? Und ist also kirchliche Verwaltung ein genuiner Bestandteil pfarramtlicher Aufgaben oder nicht? Ich spitze es mal so zu: Kann man "geistliche Leitung" (ein Begriff, der mir immer dubioser wird) von "weltlicher Leitung" in einer evangelischen Kirche wirklich so unterscheiden? 

Es zeigt sich mir dabei immer deutlicher, dass das Bild von "Leib Christi" da einige Fallen enthält. Wie erscheint dieser "Leib"? Und erscheinen muss er ja - er ist keine rein mystische Größe (das kann man natürlich meinen - dann aber hat Kirche gar keine wirkliche Gestalt und erscheint quasi immer nur von Aktion zu Aktion). Anders als in der katholischen Konstruktion ist eine evangelische Kirche keine "heilsvermittelnde" Organisation, wo bereits die bloße Mitgliedschaft einen spirituellen Status markiert und die Teilnahme an den Ritualen den Status tatsächlich verändert. 

Vielmehr haben wir die eigentümliche Situation, dass man als getaufter Mensch zugleich ein Glied am - wie auch immer gedachten - Leib Christi ist und Mitglied in einer öffentlich-rechtlichen Organisation. 

Das ist quasi so etwas wie eine offene Flanke, und die Problematik des Status getaufter, aber ausgetretener Mitglieder ist nicht ohne Grund schwer in der Debatte. Hier hat evangelische Ekklesiologie, also die Lehre von der Kirche, eine Schwachstelle (oder ist gerade das ihre Stärke? Die missionale Theologie geht da denkerisch andere Wege). 

Gleichwohl bleibt festzuhalten: Das körperschaftliche Element von Kirche erscheint als Organisation, und so ist das Organisationale ein integraler Bestanteil auch der pfarramtlichen Aufgabe: Pfarrerinnen und Pfarrer sind auch Gemeindeleiter und mit bestimmten, aber disponiblen Letztverantwortungen ausgestattet. Das ist kein bloßes Akzidenz einer "eigentlich" auf anderes abzielenden Berufung. Das spiegelt sich auch im Beamtenstatus, der Verpflichtung auf die Ordnungen der Kirche ebenso meint wie die Freiheit, diese nach eigenem Gewissen (und auch ein wenig nach Herkommen) zu gestalten. 

Letztlich führt das zur Frage nach der Körperlichkeit von Kirche und damit zu der Frage nach dem Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit. Das kann nicht voneinander abgetrennt werden. Könnte es sein, dass es einen untergründigen (und dann gegebenenfalls dekonstruktiv zu analysierenden) Zusammenhang mit dem Verhältnis zur Körperlichkeit überhaupt gibt? 

Könnte sich im dem Stöhnen über die Existenz von kirchlicher Verwaltung so etwas wie Gnostizismus der Leibverachtung zeigen? Ich frage das, es ist ein Verdacht, eine Vermutung. Die Debatte, die Paulus in Korinth führt, weist ja in diese Richtung: Hier werden charismatische Geistbegabung und Körperlichkeit in ein prekäres Verhältnis gesetzt, das Paulus mit Hinweis auf die Sorge um den Körper (man denke an 1. Kor. 12) aufzulösen versucht. 

Möglicherweise sind einige der Vorbehalte gegen die Digitalisierung (die ja vor allem die Organisation betrifft) tiefer in unserer kirchlichen, protestantischen DNA verankert, als auf den ersten Blick sichtbar ist. Die menschlich-irdische Gestalt der Kirche, ihr Körper, unterliegt eben den Bedingungen von Körperlichkeit: Vulnerabilität, Sterblichkeit, Fragmentarität und funktionale Differenzierung. Die Frage kann also nicht lauten, ob Kirche als Organisation in Erscheinung tritt, sondern höchstens: Wie. Da Digitalisierung in massiver Weise in die Organisation des Körpers eingreift (die Kirche als eine Art Cyborg, ein Gedanke, der von Donna Haraway angestoßen wurde, Donna Haraway, Ein Manifest für Cyborgs), macht sie das vielleicht so sichtbar, wie es bei Kirche bisher kaum in Erscheinung getreten ist, weil ihr organisationaler Charakter in der "Institution" verschleiert war (siehe Ausgangsthese diese Blogs Digitale Transformation). 

Meine Vermutung ist, dass wir Digitalisierungsprozesse in der Kirche direkt als Teil der Reformprozesse ("an Haupt und Gliedern", wie es in vorreformatorischer Zeit hieß) verstehen lernen müssen und über die Art und Weise, wie sich organisationales Handeln (aka "Verwaltung") künftig auch als Teil der pfarramtlichen oder überhaupt kirchenleitender Arbeit gestalten soll, verständigen müssen. 

Hier kommt die Theologie ins Spiel, und zwar als eine Art Ökonomie-Prinzip. Wenn Kirche tatsächlich (für mich ist das noch nicht so ganz ausgemacht) als eine "hybride Organisation" aus Institution, Organisation und Bewegung in Erscheinung tritt, muss sie ein Paradox bewältigen: Denn Bewegung (im Sinne einer geistgewirkten Gemeinschaft) ist in sich organisationskritisch, eine Institution (im Sinne einer gesellschaftlichen Einrichtung zur Sinnkommunkikation) versucht, ihr Organisationales immer möglichst zu verschleiern. Hier sind wir auch simul iustus et peccator, mit einer gewissen Schlagseite zum iustus: ach, wenn es doch ohne Organisation ginge....

Möglicherweise ist das immer deutlicher zu hörende Stöhnen über die "Belastung" mit Organisation in diesem ungeklärten hybriden Status von Kirche gegründet. Dann hätten wir es mit der Differenz von illusionären Erwartungen an die Perfektibilität der Organisation und dem schieren Pragmatismus einer an Selbsterhaltung interessierten Organisation zu tun. Das ist durchaus eine schizophrene Situation, und vielleicht ist es diese Schizophrenie, die uns so zusetzt. 

Aber eine "Reform" ist immer eine Verwaltungsreform, und das heißt: Organisation wird sichtbar, die Leiblichkeit von Kirche - so, wie man den eigenen Leib spürt, wenn etwas nicht so ist, wie immer. 

Auch die Reformation war im Kern eine Verwaltungs- und Organisationsreform (und ich finde es in diesem Zusammenhang sehr erhellend, dass man Luthers Leben bis 1530 immer recht ausführlich bedenkt, aber die Jahre danach - in der Kirche organisiert wurde - immer etwas undeutlich bleiben. Die Katechismen, die Haus- und Kirchenpostillen aber waren unmittelbar Ausfluss seiner Tätigkeit als Supervisor: sie haben einen massiven organisationalen Hintergrund. Das gilt auch für die CA - sie liest sich, als Organisationsleitfaden noch einmal ganz neu, ebenso die entsetzliche Schrift 'Wider Hans Worst', die einen hochgradig organisationalen Katalog von Merkmalen der Kirche enthält. Wer sich nur auf den "Theologen" Luther kapriziert, bekommt die Reformation als Reform [und zwar als partiell gescheiterte Reform!] nicht wirklich in den Blick. Es war das Leiden an der Körperlichkeit der Kirche, die den "alten" Luther krank machte....)


Es ist also kein Phantomschmerz, sondern ein Symptomschmerz, der sich in der Klage der wachsenden Last von "Verwaltung" zeigt. Die Aufgabe lautet dann also: Eine Organisationsform finden, die nicht nur die Symptome lindert, sondern das angeht, was die Symptome auslöst. Aber wie weit ist das möglich? Wieviel der schmerzauslösenden Symptome sind systemisch, wie viele umweltgeneriert, wie viele aber gegründet in der grundsätzlichen Vulnerabiltität und Vergänglichkeit, Fragmentarität und Vorletztlichkeit (im Sinne Bonhoeffers) und damit - ich gehe steil - in der Sünde? 

Wenn die Kirche der Leib Christi ist: Muss sie dann nicht allezeit die Wunden Christi an sich tragen, wie es Paulus einmal für sich beschreibt, um den Widerspruch aufzulösen, dass er als berufener Apostel so eine Jammergestalt ist (2. Kor. 4,10)? 

Letztlich läuft das darauf hinaus, sich von allen heimlichen und unheimlichen triumphalistischen Bildern  (Stichwort: "Relevanz") von Kirche zu verabschieden und ihre Sterblichkeit zu akzeptieren. Das ist ja auch im persönlichen Leben ein wichtiger Schritt zu Veränderungen. Möglicherweise ist also die am meisten benötigte Tugend oder Haltung die der Nüchternheit, die zwischen Geschrei und Resignation das Unveränderliche so akzeptiert, dass sie gerade aus dieser Akzeptanz heraus Veränderliches neu aufspüren kann. Und da kann die Digitalisierung von Verwaltung eine Möglichkeit sein, Neues zu denken und zu gestalten, weil sie, wie jeder maschinengestützter Prozess, doch auf Arbeitserleichterung angelegt ist. Das kann für eine "kleiner" werdende Kirche von entscheidender Bedeutung sein. Keinen Gefallen aber tun wir uns, wenn wir diesen organisationalen, körperlichen Aspekt von Kirche abtrennen und nur beklagen. Denn was man verdrängt, kehrt wieder. 

Mal sehen, wohin diese Gedanken mich weiter führen. Eine Hinweis enthält ein Text von G. Deleuze, der den Wandel von der "Disziplinargesellschaft" zur Kontrollgesellschaft beschreibt, was wiederum von H. Rosa aufgenommen wird, der einen ähnlichen Prozess beschreibt. (Der Text von Deleuze wird hier ganz elementar dargestellt: Was ist die Kontrollgesellschaft

Rosa sieht in modernen Gesellschaften und ihren Institutionen eine Verdinglichung von Resonanzbeziehungen am Werk, die Resonanz quasi als eine Störung einzuhegen versuchen. Er nennt die auf Lehrplanerfüllung gestylte Schule und 

"erst recht kennen solche Zwänge alle diejenigen, die in Heil- und Pflegeberufen tätig sind: Die Uhr läuft bei jeder Handlung unerbittlich mit, und Resonanz muss ständig unterdrückt werden, weil sie nicht bezahlbar ist ...Tatsächlich stellen just die Versuche, Qualität zu sichern ....die Einfallstore für die schlimmsten Manifestationen der Verwandlung resonanter in stumme Beziehungen dar. Letztlich sind sie nur ein weiteres Beispiel für das vergebliche Bestreben, Resonanz verfügbar zu machen: Der bürokratische Zwang, über alle Schritte und Handlungen dokumentarische (und buchhalterische) Rechenschaft abzulegen, alle Leistungen und sogar Ideen zu messen und zu quantifizieren, macht in nahezu allen Berufen und Sparten, in denen die Qualität der Arbeit von der Qualität der Resonanzbeziehungen abhängt, den Arbeitenden das Leben zur Hölle. Artzinnen und Lehrer, Wissenschaftlerinnen und Journalisten, Pflegerinnen und Erzieher, Künstlerinnen und Politiker, aber letztlich sogar Bäckerinnen und Raumpfleger, Stahlarbeiterinnen und Köche beklagen unisono dass die Steigerungszwänge und die Zeitnot, aber auch die normierenden Vorgaben und Dokumentationspflichten sie daran hinderten, ihre Arbeit gut und richtig zu tun. Hier liegt.....die eigentliche Krise der modernen Arbeitswelt. Der Versuch, Resonanz berechenbar und verfügbar (und förderbar) zu machen, führt geradewegs in die Entfremdung" (Rosa, Resonanz, 668). 

Also geht es darum, nicht pauschal über "Verwaltung" zu klagen, sondern genau und möglichst präzise diejenigen Faktoren und Elemente zu benennen, die in diese Verdinglichung und Verstummung von Resonanz führen. Denn: "Als Grundwiderspruch (Schizophrenie, s.o., RK) der institutionellen Ordnung der Spätmoderne bleibt damit die Diskrepanz zwischen der verdinglichenden Steigerungslogik dieser Ordnung einerseits und der ebenfalls durch sie und in ihr erzeugenten Sehnsucht nach Resonanzbeziehungen andererseits bestehen". (ebda.). (Rosa, Resonanz, 667f)

Die Digitalisierung als technischer und als kultureller Prozess ist genau dort angesiedelt, und es gilt, hier eine spezifische Wachsamkeit zu entwickeln, sie nicht nur der Steigerungslogik zu unterwerfen, sondern sie auch als (ein wenig widersprüchlich) als Maschine der Resonanzerweiterung zu verstehen und umzusetzen. Ein rein technokratisches Verständnis dieses Prozesse muss also immer wieder unterlaufen und befragt werden unter dem Aspekt der Resonanz und ihres (nichtorganisierbaren) Überschusses. Hier läuft, und zwar mit vollem Recht, wenn sie präzise ist, die Grenze von auf Veränderung zielender Kritik zur letztlich die Verhältnisse stabilisierenden Gejammers. Und die läuft mitten durch die Körper.