Digitalisierung und Bilder von Kirche: 17 Zwischenstopp mit großen Worten

Die grundlegenden Überlegungen sind für mich damit erst einmal abgeschlossen, mit der "Matrix" habe ich für mich ein starkes Beobachtungsinstrument entwickelt, das nun auf dem Prüfstand steht - wie geht es weiter? 

Ich habe lange überlegt, ob ich eher den organisationalen Weg einschlage oder doch eher den theologischen. Ich habe mich für letzteres entschieden, nicht zuletzt deswegen, weil die Klärung theologischer Fragestellungen (von Antworten wage ich noch gar nicht zu reden) auch ein Licht auf die organisationalen Fragen werfen wird und ich mich dafür als kompetenter einschätze. Theologie habe ich studiert, Organisationsfragen durch Fortbildungen und learning by doing erworben. Das macht schon einen Unterschied.

Wer eine Vorstellung davon haben möchte, wie ich mit dem Organisationalen nähere, kann gerne einen Blick auf die im vorhergehenden Post verlinkte Präsentation werfen. 

Wie also weiter? 

Kundige werden bemerkt haben, wie stark ich der sog. "Postmoderne" oder "French Theory" nahestehe, und gerade Baecker und Stalder, die ich für das Thema Digitalisierung für absolut grundlegend halte, verwenden ja Theorieversatzstücke aus diesem Bereich. Was auch nicht Wunder nimmt: war doch Medientheorie und Techniktheorie dort sehr angesagt, als man im deutschsprachigen Bereich noch in den nebulösen Gefilden einer am gedruckten Wort orientierten Hermeneutik folgte und die Technik ins "Gestell" verbannte (wobei ich inzwischen glaube, dass das einer der am meisten missverstandenen Begriffe Heideggers ist. Vielleicht habe ich die Kraft, dazu noch etwas zu sagen, wenn ich über das "Gefüge" nachdenke). 


Darum werde ich zuerst einmal zu klären versuchen, nicht WOVON wir  reden, wenn wir von "Kirche" reden, sondern - gut dekonstruktiv gedacht - WOMIT wir reden, wenn wir von "Kirche" reden. 

Und das heißt, dass wir uns auf den dornigen Weg machen müssen, zu verstehen, was J. Derrida (wie ich finde, ziemlich genial, weil sehr anschaulich) mit der "Durchstreichung" meinte: Kirche "ist" Kirche.  Ich habe es ja oben schon angedeutet, wohin das führt: zu Aushandlungsprozessen nicht nur um Geld und Macht, sondern auch um Bedeutung (an denen Geld und Macht nämlich hängen. Soviel Foucault muss sein). 

Darauf aufbauend wende ich mich dem "Rhizom" zu, eine Konzeption von Gilles Deleuze und Felix Guattari, die nicht auf den ersten Blick soziologisch-organisational, sondern erst einmal semiotisch codiert ist. Aber semiotisch heißt natürlich soziologisch, wenn man nicht einer platonischen Doppelwelt frönt, in der Sprechen und Verstehen nicht als Handlungen verstanden werden.

Dann nehme ich das Konzept des "Mycels" auf, das sich an Donna Haraway orientiert, wobei sie das hier Gemeinte stärker am "Korallenriff" entwickelte. Damit betreten wir den Theorieraum von Gaia und Anthropozän, der von vielen etablierten Theorien noch skeptischer betrachtet wird, als die French Theorie (mit der sie ja genetisch zusammenhängt). Aber manchmal ist die etablierte Skepsis auch eine Spur von Wahrheitsmacht, getroffene Hunde bellen. Natürlich wird es an dieser Stelle politisch, weil es um Zukunft geht (auch der Kirche/Kirche)

Ich hoffe, dass es mir gelingt, hier deutlich zu machen, was "Sympoiesis" meint, einen der theologisch gehaltvollsten Begriffe im gesamten Theorieraum der Gaia-Anthropozän-Theoriebildung. 


Und schließlich möchte ich bei dem Begriff landen, der meine gesamten Überlegungen schon seit langem leitet und begleitet: den des Gefüges. 

Dafür werden wir - für manchen, so hoffe ich, eine wirklich Entdeckung - auf Nicolai Hartmann zurückgreifen, für den dieser Begriff Leitmetapher für seine (für die Naturwissenschaft absolut evidente) Beschreibung des "Aufbaus der realen Welt" war. Der Begriff taucht dann wieder bei Deleuze/Guattari auf, und ich habe bis heute nicht herausgefunden, ob es da eine Rezeption Hartmanns gab, die eher verschwiegen wurde oder ob es sich um einen systembedingte Analogie handelt, weil der Gefüge-Begriff sich mehr oder weniger automatisch einstellt, wenn man naturwissenschaftlich  oder ingeniermässig denkt.  (Die French Theorists haben ja alle seinen Konkurrenten Heidegger gelesen und konnten Deutsch). 

Und von da aus, sub conditione jacobäi, werden ich dann versuchen "dekonstruktiv" darzustellen, warum die traditionellen Bilder für Kirche den kulturellen Prozess der Digitalisierung nicht wirklich erfassen können, sondern sich theologisch zu den dafür nötigen Begriffsbildungen verhalten wie newtonsche zur einsteinsch-planckschen Physik: Für den Nahbereich begrenzt tauglich, für eine stabile Theoriebildung zu kurz. 

Das wird sich vor allem zeigen, wenn ich auf dem Begriff der "hybriden Kirche" blicke, der sicherlich sehr leistungsfähig ist- aber er stammt von seinem Mindset her noch aus eher vordigitalem Denken und wird dem digitalen Impact nicht völlig gerecht, bzw. da sortiert sich einiges anders. 

Das ist natürlich, wie ich sehr wohl weiß, eine steile These, für einen Nebenbei-Theologen zudem recht gewagt. 

Andererseits: Wenn ein Blog nicht experimentieren darf, wo dann? Ich habe diesen Publikationsort mit Bedacht gewählt: Form follows function (naja, in Wahrheit natürlich: Form is the function). 


Es ist gefährlich, Vorworte zu schreiben, bevor man die dazu nötigen Texte geschrieben hat. Betrachtet es, liebe Lesende, als eine Selbstverpflichtung und ein bisschen Suspense-Aufbau, deswegen auch er eher etwas gelöste Tonfall. Denn der folgende Teil wird mühsam für Schreiber und Lesende, weil ich hier noch sehr mit den Gedanken ringe. Und nichts ist so mühsam, wie unfertig Gedachtes. Ihr könnt auch gerne lieber einen Kaffee trinken, mit einem geliebten Menschen Zeit verbringen, oder etwas Richtiges lesen. Denn du, liebe Leserin, lieber Leser, hängst jetzt doch gerade wieder am Bildschirm Danke dafür. Aber.....