Digitalisierung und Bilder von Kirche 16: Die drei Stufen und die Referentialität

 Die drei Stufen und die Referentialität.

Versuch einer theologischen Annäherung

Aus dem Vorhergesagten ergibt sich, was sich bei der Kreuzung der drei campbellschen Stufen mit dem Aspekt der Referentialität zeigt: Die dahinterstehenden ontologischen Grundannahmen. Zugleich wird aber beschreibbar, was der Fall ist: Weder „gibt es“ rein analoge Gemeinschaften, deren Mitglieder sich ausschließlich über die Mitgliedschaft in oder die Teilnahme an dieser Gemeinschaft definieren – das wäre eine so radikale Gemeinschaft, wie wir sie nur in fundamentalistischen oder sektiererischen Kontexten finden. Es wäre ein closed communitiy, die im Grunde keinerlei Außenweltkontakte zur Subjektgewinnung zulässt, Referenz findet nur innerhalb der community statt. Wer sich dieser Referenz verweigert, wird exkludiert – notfalls auf dem Scheiterhaufen. Wie sehr der Diskurs über Kirche in diesem Muster verfangen ist, zeigt sich immer wieder mal in der Mitgliederdebatte -hier scheint die hochdiverse, auf Referentialität basierende „künftige Gesellschaft“ (Dirk Baecker) gelegentlich noch nicht so recht in Sicht zu sein. Die Freiburger Studie habe ich aus dieser Perspektive durchaus kritisch gesehen.

Dass Kirche sich über Jahrhunderte so sah, und den Begriff der „Gemeinde“ immer stärker parochial-präsentisch verstand, hat den Blick etwas dafür getrübt, dass das so ja nie gestimmt hat und das „Christentum“ und mit ihm die „Kirche“ immer schon divers war  und ihre „Gemeinschaftsformen“ immer auch etwas von Projektion oder Prolepse hatten. Die Erfahrung der mobilen multikulturellen Gesellschaft macht uns heute sensibler dafür, das schon im Neuen Testamten deutlich zu erkennen und die einschlägigen Erzählungen und Briefe nicht als Dokumente heroischer Überwindung von „Spaltung“ zu erkennen, sondern als narrative Konfliktösungstrategien auf der Basis einer Vision von Gemeinschaftlichkeit, die zumindest in den Anfangsjahren des Christentumes ihren eschatologischen Verheißungscharakter nie verloren hat. Es würde viel zu weit führen (und auch hier meine Kompetenz weit überschreiten), das im Einzelnen auszuführen.

Eine Bemerkung des Paulus möchte ich der Diskussion anbieten, weil sie mir als guter Ausgangspunkt für die Frage der „Referentialität“ unter der Perspektive der Digitalisierung erscheint: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben“ (Gal 2,20). Was Paulus hier beschreibt, kann man – sehr verkürzt – als „Externe Konstituierung des Subjekts“ beschreiben, und damit wird eine theologische Büchse der Pandora geöffnet: Was heißt das im Bezug auf das „empirische“ Subjekt, vor allem wenn es, was ja hier meine vornehmliche Perspektive ist, „präsentisch“ („Im Fleisch“) gedacht wird? (Ich erwähne nur, dass ich Schleiermachers „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit so lese und mithin als eine „Medientheorie).

Das „Ich“ des Paulus erfährt sich als nicht in sich selbst gegründet, sondern in Christus, dessen Präsenz aber prekär ist dem Sinne, dass er nicht „physisch“ (im Fleisch oder im Leib) präsent ist, sondern – ich sage das im vollen Bewußtsein darüber, dass das eine kühne Erweiterung des Begriffs ist – im Grunde „virtuell“. Selbst wenn man, im Gefolge Bonhoeffers (siehe oben) davon ausgeht, dass Christus (wie genau?) in der Gemeinde präsent ist, ist es keine Präsenz wie die eines Tisches oder einer leibhaftigen, lebendigen Person. Theologie hat schon immer eine virtuelle Komponente gehabt, und ich glaube, dass die Digitalität uns helfen kann, das noch besser zu begreifen.

Was Stalder mit seinem Begriff der „Referentialität“ beschreibt, ist ja ein Subjektkonstituierung und Individuierung (wenn nicht gar: Entwicklung einer Singularität), die „außerhalb“ des  (letztlich ja auch nur fragmentarisch erfahrbaren, 1. Kor 14) empirischen Ichs stattfindet durch ein Fülle von Bezügen, die über soziale Formationen im digitalen Raum stattfindet und eine Art „schwebendes Kontinuum“ erzeugt, das sich dem klassifizierenden Zugriff der Sprache letztlich permanent gleitend entzieht und nur im Sprechen performativ „prekär präsent“ ist (Stalder bezieht sich explizit auf Derrida).

Das ist – unter dieser Perspektive – für die Theologie eigentlich nichts Neues. In Christus (also im Glauben an seine wie auch immer zu erfahrende und zu denkende Präsenz) wird das durch die Sünde fragmentierte Ich durch einen Zuspruch (einen performativen Sprechakt) zu einem „Ganzen“ geformt, und diese Ganzheit ist, weil sie den Charakter der Verheißung hat und also eschatologisch gedacht ist, letztlich rein virtuell.

Wie aber „erfahren“ wir Christus? Durch das Wort, also durch Kommunikation. Das „ich“ entwirft sich im Bezug auf eine vorgängige Kommunikation, es ist eine Unterstellung, eine virtuelle Voraussetzung (oder, wenn man es sozusagen im Muster Pannenbergs denkt, „proleptisch“). In Römer 7 beschreibt Paulus diesen Prozess des Ineinander von prekärer Selbststeuerung und Selbstgewinnung im Bezug auf ein „Außen“, das als reine Kommunikation begegnet. Das ist ein Modell von Referentialität, das an den Begriff der Referentialität von Stalder anschlussfähig ist. Es entsteht eine Art „schwebender Identität“, die sich ihrer selbst immer wieder im Bezug auf die Verkündigung (das „Kerygma“, das Wort der Verheißung) gewinnt und sich im Moment des Gewonnenhabens schon wieder verflüchtigt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass hier eine vormoderne Vorstellung von „Subjektivität“ anschlussfähig zur Erfahrung der Fragmentarität der sog. „Postmoderne“ ist. Referentialität, Bezüglichkeit auf eine nicht im Subjekt verankerte entzogene (!) Entität, ist ein Drundelement dessen, was die christliche Tradition „Glauben“ nennt. Das „Ich“, gedacht als vollständige Person, wird in einem virtuellen Raum konstituiert, dessen Realität eine unterstellte ist – die aber gleichwohl, weil sie ein symbolischer, ein kommunikativer Raum ist, höchst real ist. Sie generiert Haltung, und aus der Haltung heraus Handlung – wie es Stalder für den digitalen Raum beschreibt. Es ist eine theologische Herausforderung, das zu denken, die ich hier nur anreißen kann.

Insofern ist auch der folgende Versuch, diese Referentialität mit den Stufen der Digitalisierung zusammenzudenken, ein wirklicher Versuch, hier bin ich, das kann man ja in einem Blog mal tun, wahrlich nicht zu der wünschenswerten Klarheit vorgestoßen. Letztlich geht es darum, zu verstehen, wie mit jeder Stufe eine eigene Kategorie oder eine eigene Erfahrung von Präsenz erfasst wird. Was geschieht, wen sich die christliche (und kirchliche) Identität von einer sozusagen naiv gedachten Präsenz im Sinne physischer Anwesenheit löst und sich immer weiter in den digitalen Raum verlagert und der Ort, von dem hier ich meine Identität gewinne, immer virtueller wird? Ich weise nur darauf hin (und hoffe, das noch klarer zu bekommen, dass hier Narrativität und nicht Diskursivität den Weg weist: es ist erzählte Identität, nicht „beweisbare“.

„transferring“

Auf der Ebene des „tranferring“ bleiben wir im Raum einer als raumzeitlicher Anwesenheit gedachten Präsenz, die im Netz abgebildet und repräsentiert wird – gerade so, als wäre Kirche (das, wofür sie steht) einfach „da“. Geht man einen Schritt weiter, und nimmt man die Digitalisierung ernster, entstehen Hybride aus Virtualität und („kohlenstofflich“ verstandener) Präsenz, in der sowohl Präsens als auch Virtualität als gemischt betrachtet werden. Im digitalen Meeting ist präsent, wer Kamera und Mikro geöffnet hat – oder? Wer ist „Teilnehmer“ an einem Gottesdienst im digitalen Raum oder „bloßer“ Rezipient – in einer Kirche, die davon ausgeht, dass der Glaube aus dem Hören kommt, eine schwierige Frage, die sich natürlich gar nicht stellte, als Gottesdienste ausschließlich in Präsenz stattfanden und auch nur in Präsenz gedacht werden konnten. Das hatte zur Folge, dass Gemeinde vor allem als Gottesdienstgemeinde gedacht wurde: Kirche ist, wo das Evangelium verkündigt wird und die Sakramente schriftgemäß gereicht werden. Verstehe ich das ausschließlich als physische Präsenz, dann wird die ad hoc versammelte empirische Gemeinde der privilegierte Ort und der privilegierte Zeitraum, an dem ich meine wahre christliche Identität gewinne. Was im digitalen Raum geschieht, ist bloßes Abbild (siehe oben das zur Algorithimizität Gesagte) und gegenüber der „Realität“ defizitär. Das „Medium“ ist bloßes „Medium“, das auf die Inhalte und die Wirkungen letztlich keinen Einfluss hat. Unter der Perspektive des „tranferring“ ist alles, was im digitalen Raum geschieht, reiner Ersatz“.

Das ist unter dem Aspekt der Digitalitität unhaltbar. Auch „vor dem Bildschirm“ entsteht eine Gemeinschaft, die zumindest in dem Moment, in dem sie sich versammelt, nicht nur real ist, sondern auch präsent. Das aber verschiebt sich schon in dem Moment, in dem keine „Live-Übertragung“ stattfindet, sondern eine Aufzeichnung betrachtet wird. Was für eine „Präsenz“ findet hier statt? Was für eine Gemeinde ist das?

Man erinnere sich an die Debatten, die rund um die Etablierung des Rundfunk- und Fernsehgottesdienst entstand und da schon einmal eine Frage um die „Eigentlichkeit“ des Gottesdienstes aufwarf: Ist es die leibliche Präsenz oder ist das (bildgestützte) Hören? Die Frage stellt sich im digitalen Raum natürlich noch deutlicher. Der Begriff des „Hybriden“ hat dabei einen, wie oben schon entwickelt, durchaus pejorativen Beigeschmack von etwas Defizitären. Wie aber, wenn es der Glaube in sich schon „hybrid“ ist, wenn man z.B. von der Inkarnation her denkt, in der das Paradox des „Ewigen“ (Virtuellen?) und des „fleischlichen“ (Kohlenstofflichen) zusammengedacht werden, so, dass keins von beiden die Priorität hat, sondern nur zusammen „Realität“ ergibt („Nun aber nicht mehr ich…)? Wenn also Subjektivität, Individualität, aber auch Gemeinschaftlichkeit überhaupt nur „Hybrid“ gedacht werden kann?

Translation

Letztlich ist die Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein „transferring“ zumindest grenzwertig. In dem Moment, wo ein Gottesdienst medial vermittelt wird, findet schon ein „translation“ statt, weil das Medium Einfluß hat auf die Gestaltung – das zeigt sich schon darin, dass sich für diese Art des Gottesdienste eine eigene Homiletik entwickelt hat, die dezidiert festhält, dass die mediale Vermittlung nicht einfach die Übertragung von liturgischer Inszenierung und Kanzelrede sein kann, schlicht schon aus dem Grunde, dass das Medium eine eigene Aufmerksamkeitsökonomie entwickelt. Schon allein die Fragte der Verweildauer vor dem Bildschirm und der Möglichkeit der Ablenkung („second screen“) zeigt das sehr deutlich. Selbst einfaches „Abfilmen“ von Gottesdiensten erzeugt gegenüber dem in physischer Präsenz stattfindenden Gottesdienst qualitativ neues, weil eine andere Art von Gemeinde entsteht, die einen virtuellen Charakter hat. Was nicht bedeuten muss, dass diese Form des abgefilmten Gottesdienstes nicht auch seine Berechtigung hat. Man muss sich nur klar, sein, was man tut. Von einer digitalen Form kann man erst sprechen, wenn auch translation stattfindet. Die Frage ist, ob reine Digitalität überhaupt gedacht werden kann.

transforming

Das würde aber auch bedeuten, dass die dritte Stufe, „transformation“, die letztlich reine Virtualität beschreibt, eine Abstraktion ist, über deren ontologischen Status erst einmal gründlich nachgedacht werden müsste. Ist das überhaupt möglich? Kann es eine rein virtuelle Gemeinde, eine rein „virtuelle“ Kirche überhaupt geben? Das berührt Fragen, die in der (zu recht umstrittenen) traditionellen Unterscheidung der „sichtbaren“ und der „unsichtbaren“ Kirche verhandelt worden ist, aber unter einer neuen Perspektive. Die „unsichtbare“ Kirche, die sich vor dem Bildschirm versammelt, was ist sie?

Was könnte das sein, eine „digitale Kirche“, die sich allein aus virtuell konstituierten Akteuren besteht? Theologisch ist das bisher in letzter Konsequenz ja nur von den Engeln gedacht. Und so halte ich es auch für eine Grenzbestimmung, und das gilt für die gesamte untere Ebene der Matrix. Innovation, digitale Kirche und Virtualität sind Grenzbestimmungen, die sich der Machbarkeit und vielleicht auch der Erkennbarkeit entziehen. Bzw. nur ex post behauptbar sind. Möglichweise ist „Virtualtität“ im Bereich der Kirche und des Glauben ein eschatologischer Begriff, der etwas beschreibt, was jenseits unser Möglichkeiten ist und an das himmlische Jerusalem erinnert, in dem die kohlenstofliche Basis der Kommunikation aufgehoben ist, ähnlich, wie es Paulus mit seinem Begriff des „himmlischen“ oder pneumatischen Leib beschreibt, dessen Identität sich allein aus seiner Beziehung zu Gott ergibt, die nicht rein virtuell sein kann, weil sich nicht technisch sein kann. „Nun aber nicht mehr ich, sondern Christus in mir“. Es ist, wie oben schon gesagt, bemerkenswert, wie dieser vormorderne Ansatz (der ja ungebrochen von so etwas wie einer metaphysischen Präsenz ausgehen kann) sich mit den Fragen der Postmodernität mit ihrem Begriff der fragmentierten Individualität, die sich nur aus Kommunikation gewinnt, und auf metaphyische Präsenz verzichtet, überschneidet. Wie kann diese prekäre Präsenz ontologisch gedacht werden, wenn sie nicht in reine Kommunikation (und damit möglicherweise in reine Fiktionalität) aufgelöst werden soll, was ja der bekannte Verdacht gegenüber diesem Denken überhaupt ist?

Konsequenzen

Die Digitalisierung stellt auch hier alte Fragen in neuer Radikalität. Woraus gewinnt sich das Subjekt, wenn es sich nur aus Referentialität gewinnt, was ist der Referenzpunkt dieser Referenzialität? Im radikal digital gedachten Begriff der Referentialität erzeugt sich eine momenthafte, instabile, flukturierende Identität, in der das Subjekt letztlich ein „Avatar“ seiner selbst ist. Auch „Ich“ ist ein gleitender Signifikant, dessen Gleiten durch die Digitalität beschleunigt und durch die Beschleunigung deutlicher als bisher sichtbar wird. Es ist vor allem die Geschwindigkeit und Flüchtigkeit der medialen Konstituierung des „Ich“, die uns neu erscheinen lässt, was schon was wohl schon immer der Fall war. Die von Kant beschrieben Differenz von empirischem Ich und transzendentalen Ich wird zu einer realen Erfahrung. Nun aber nicht mehr ich, sondern die „Welt“ in mir. Im Abschnitt über die Algorithmizität hatte ich versucht, den Prozess der translation unter dem Aspekt der Algorithmiziät als „permutation“ zu beschreiben, als einen Verwandlungsprozess. Das ist ein ur-theologische Kategorie. Denn es geht ja in der Begegnung mit Christus um eine „Verwandlung“, um eine Veränderung der Zuschreibungen, die mich als Ich ausmachen. Es ist ein Perspektivenwandel, der aber zugleich auch die „Wirklichkeit“ verändert. Es ist ein Unterschied, ob ich die Welt (alles, was nicht „ich“ ist) als einen Ort des Todes und der Vernichtung beschreibe, oder als einen Ort von Inkarnation und Versöhnung. Es ist eine fundamentale Haltungsveränderung, die hier erfahren wird. Vermittelt sich die auch im digitalen Raum?

Mir zeigt sich hier, dass wir es mit Grenzbestimmungen zu tun haben – weder reine Abbildlichkeit (die eine naive Präsenz voraussetzt) noch reine Virtualität (die Präsenz komplett in Kommunikation auflöst ) sind denkbar und handhabbar. Das hat ein Element von Ernüchterung, die zwischen einem ängstlichem Festhalten an der physischen Präsenz und einem enthusiastischen Überspringen der Leiblichkeit in einer reinen Virtualität angesiedelt ist. Das sind alte theologische Fragestellungen im neuen Gewand, die es von Berufeneren genauer zu erfassen gilt. Letztlich berührt sie Fragen, die z.B. in dem Streit um die Frage der „Kenosis“ in der Tradition schon ausführlich behandelt worden sind und in der Diskussion der sog. „Postmoderne“ wieder auftauchten (stellvertretend sie auf Gianni Vattimo verwiesen).

Vereinfacht gesagt: Hat sich Christus vollständig in Kommunikation inkarniert? Schon die hermeneutische Theologie stieß an diese Grenze, etwa mit Sätzen wie diesen: „Christus ist in das Wort auferstanden“. Aber dieses Wort muss doch eine physische Basis haben, es muss gesprochen werden, und zum Sprechen braucht es eine Stimme, und zur Stimme braucht es einen Körper. Man kann die ganze Thematik also auch unter dem Aspekt der „Verkörperung“ abhandeln, etwa unter der Frage, ob es so etwas wie einen virtuellen Körper gibt. Die Fragestelltung ist, schaut man sich die Diskussionen um Cyborgs und künstliche Intelligenz an, so abstrakt und fern nicht, wie sie aussieht. Schon die bereits mehrfach erwähnte Entwicklung des Smartphones zu einer Erweiterung der Sinnlichkeit, als wäre es ein Organ für die Wahrnehmung des virtuellen Raumes, weist in diese Richtung. Kirche wird immer auch in diesem Raum stattfinden und so einen Beitrag leisten zur referentiellen Entwicklung eines sich aus dem Bezug zu Christus gewinnenden „Subjektes“ (die Anführungstriche zeigen an, dass dieser Begriff letztlich eine Metapher ist).

Das würde für die Kultur der Digitalität in der Kirche bedeuten, dass wir unsere Anstrengungen vor allem darauf richten sollten, auf Permutation, auf Kirche digital und auf Hybridisierung zu setzen, anstatt entweder ängstlich im Bereich des Abbildes, der Kirche im Netz und einer naiven Präsenz zu verharren oder und in Träumen von Innovation, digitaler Kirche und vollständiger Virtualität zu verlieren.

Die Untersuchungen zur Nutzung digitaler Gottesdienstangebote zeigt, dass solche Angebote vornehmlich im Bereich der eigenen Parochie genutzt worden sind, dass die Rezipienten in großer Mehrheit nur auf Angebote der „eigenen Gemeinde“ zugegriffen haben und hier auch ihre Erwartungen von einer Präsenz dieser „realen“ Gemeinde im „Netz“ formulieren. Es ensteht, vermutlich unter dem Druck der digitalen Referentialität, ein Bedürfnis quasi-tribaler, im Extrem sogar identitärer Zugehörigkeit zu einer wie auch immer real gedachten „Gemeinde“. Eine rein „virtuell“ gedachte „Netzgemeinde“ ist ganz offensichtlich nicht das, was Menschen erwarten und sich vorstellen. Es braucht eine Anbindung an das körperliche und physisch erfahrbare – auch dort, wo Menschen angeben, den physischen Gottesdienst nicht besuchen zu wollen, wenn es ein digitales Angebot gibt.

Jetzt habe ich mich, gegen den Duktus dieses Blogs, der ja vornehmlich organisationale und administrative Aspekte im Blick hat, doch sehr auf den Gottesdienst kapriziert. Aber die hier zu beobachtende Tendenz zur „Hybridisierung“ gilt auch für die digitale Kollaboration. Eine rein im digitalen Raum stattfindende Arbeitskultur ist eine Fiktion, eine Grenzbestimmung. Mitarbeiterbefragungen ergeben ein recht eindeutiges Bild, dass die Arbeit in physischer Präsenz durch digitale Arbeit nicht einfach ablösbar ist. Das klingt banal, trivial ist es aber nicht. Prozesse der Digitalisierung der Arbeit müssen so gestaltet werden, dass es Möglichkeiten der physischen Präsenz, der leiblichen Kommunikation und des körperlichen Miteinanders gibt. Reine Virtualität zeigt sich auch hier als eine Grenzbestimmung. Organisationen sind eben, man muss sich das Wort „Organisation“ nur einmal auf der Zunge zergehen lassen, „Körperschaften“.

Auch das Digitale existiert „leiblich“, und selbst eine noch so hoch entwickelte Künstliche Intelligenz hat eine materielle, vergängliche, vulnerable Basis. Es kann nichts „Reines“ geben: Wenn Kirche so anfing zu denken, wurde sie ideologisch. Referentialität kann nicht in reine Virtualität aufgelöst werden – das Ergebnis wäre eine „Spiritualisierung“, die aus gutem Grund in der Theologie immer beargwöhnt wurde. Sie führt, vereinfacht und ein wenig polemisch gesagt, letztlich zu einer Fragmentierung von Identität, die pathologische Züge hat: Nun aber nicht mehr ist, sondern alle in mir. Das ist letztlich die große und ernstzunehmende Angst vor dem Prozess der Digitalisierung: Verlust von Leiblichkeit und damit der elementaren Erfahrung von Lebendigkeit. Hier ist der Ansatz zu einer kritischen Sicht des kulturellen Prozesses der Virtualisierung der Welt.

Digitaler Pragmatismus

Am Ende dieses komplexen Abschnittes steht also ein gewisser Pragmatismus: So wie sich das Christentum in vorhandene Kulturen inkulturiert hat, weil es gar keine eigene „Kultur“ mit sich bringt und sich so die vorhanden Kulturen „übersetzt“ (translation!) und sie verändert hat (transforming), werden wir wohl auch mit der Kultur der Digitalität umgehen müssen. Wir können es nicht bei einem einfachen transferring belassen, in der Hoffnung, von all dem damit letztlich unberührt zu bleiben. Das wäre der Weg der Amish und würde zu einer massiven Versektung führen.

Was andersherum bedeutet: Der Prozess der Inkulturation verändert Kirche, und sie muss bereit sein, diese Veränderungen aufzunehmen. Referentialität als basaler Prozess der Identiätsgewinnung ist der Theologie nichts Fremdes, sie muss es vielleicht theologisch nur neu entdecken.

Die Organisation, wie wir sie heute kennen, hat ihren Ursprung in der römischen (Militär-)Verwaltung. Das war für eine sich homogen verstehedne (Stände-) Gesellschaft mit klaren, durch Stand, Geburt, Privilegien und Tradition geprägten Gesellschaft durchaus tauglich, wenn es auch mit dem anarchischen, machtkritischen Charakter des Glaubens immer in Reibung stand.

Der Habitus, den wir heute haben - „Öffentliche Kirche“ in hoher Ausdifferenzierung -hat ihren Ursprung in der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft und in der Inkulturierung in diese Gesellschaft in den letzten drei Jahrhunderten (unter großen Verlusten, wie wir wissen, weil die für moderne Gesellschaften prägende soziale Frage zu spät identifiziert wurde). Sie ist ein Ergebnis der „Gutenberg-Galaxis“.

Wie sieht eine Kirche aus, die sich nun in die Kultur der Digitalisierung inkulturiert und „was macht es mit ihr“? Digitalisierung erzeugt über Referentialität eine neue Form der Gesellschaft und Kultur. (Baecker). Welche unsere traditionellen Bilder von Kirche sind dazu anschlußfähig? Welche Bilder von Kirche brauchen wir, um das zu verstehen, und jenen Hybrid zu bilden („corpus permixtum“), der Kirche immer war und aus dem heraus wir verstehen können, was eine christliche Identität in einer digitalisierten Welt ist?

Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir als Kirche dazu einen eigen Beitrag jenseits von Affirmation und Verweigerung bilden können, weil wir gerade im Bereich der Referentialität etwas zu sagen haben. Es geht, wenn man so will, um eine Theologie der digitalen Kultur. Wo existiert Christus, wenn sich Menschen am Bildschirm versammeln, am Bildschirm in, mit und für die „Kirche“ arbeiten und wir „im Netz“ nicht nur sichtbar sind, sondern auch als Akteure unterwegs sind? Oder, noch zugespitzter: Technik gehört zur Welt, wie gehört sie zur Technik? Ist Emergenz, als ein wesentlicher Effekt der Digitalisierung, kreativ, gar „creatio continua“? Was trägt der Glaube bei zur Gewinnung einer Identität in der oszillierenden Beliebigkeit algorithmisch erzeugter Gemeinschaften? Wie fügt sich Kirche hier jenseits von Verweigerung und Enthusiasmus ein?

 

Die Ineinanderschreibung der Stufen der Digitalisierung in die Elemente der digitalen Kultur macht die Komplexität dieser Fragestellung erkennbar. Wir werden damit leben müssen und Strategien entwickeln müssen, dies Komplexität zu halten. Das war schon immer eine Aufgabe von Theologie.